Führung verstehen – Teil 3: DER DA OBEN… der „Archetyp Vater“

Wir alle kennen typische Vertreter des „Patriarchalischen Führungsstils“. Ich erinnere mich noch an Filme aus den 50er Jahren, in denen der „Boss“ jovial – Leben und Leben lassen – für „seine Leute“ sorgte. Das war eben das damalige Bild des Unternehmensführers. Aber auch viele heute ganz aktuelle Vorstellungen über Führung haben in diesem Vater-Kind-Bild ihren Ursprung. Wer z.B. meint, Führungskräfte müssten Vorbild für ihre Mitarbeiter sein, oder Führungskräfte müssten ihre Mitarbeiter motivieren, damit diese etwas leisten, ist unbewusst wahrscheinlich einer mehr oder weniger patriarchalischen Sicht von Führung verhaftet.

Auf der Suche Antworten auf die Frage:

Wie kommt es, dass sich erwachsene Menschen dem Herrschaftsanspruch von Führern freiwillig und freudig unterwerfen?

 

war ich 1995 als junger Professor auf Archetypen gestoßen, die da im Untergrund bei uns allen wirken und auch unsere Führungsbeziehungen prägen.

Der Archetyp Vater

Als ich ein kleines Kind war, kam mir mein Vater streng und überlegen vor. Er hat mich beurteilt, war aber meistens gütig und verständnisvoll. Anderen kam ihr Vater vielleicht allwissend, allgegenwärtig oder gar allmächtig vor. Vielen erschien er als Despot, denn er wollte um jeden Preis seine eigenen Vorstellungen verwirklichen.

Leiter ≠ Führungskraft

Wird nun einem Menschen in einer Organisation, z.B. in einem Unternehmen oder einer Behörde, die Leitung einer Abteilung übertragen, so ist er zunächst einmal Leiter. Er hat damit Machtressourcen durch seine Leitungsposition, man spricht von positionaler Macht. Zur Führungskraft wird er dann, wenn er es erreicht, dass die Menschen in seiner Abteilung ihm folgen. Sie werden dann zu Geführten, zu „seinen Leuten“. Dies gelingt am besten, wenn man als einer der Archetypen auftritt, also als einer, dem die Menschen bereits schon deshalb folgen, weil er ihre Urbilder und damit ihre verdeckten Motive aktiviert.

Führungskraft = Vater?

Tritt nun ein Leiter als stilisierter Vater auf, dann spricht er untergründig die Vater-Kind-Beziehung seiner Mitarbeiter an. Je nachdem, wie gefestigt und innerlich erwachsen sie sind, fühlen sie sich von ihm beschützt und entlastet von Verantwortung, denn „DER DA OBEN wird es schon richtig machen“. Sie fühlen sich abhängig, und sie lieben und hassen den Vater und sie rebellieren auch manchmal gegen ihn. Der Vater sorgt für seine Kinder – und entmündigt sie dabei. Der Leiter, nunmehr Führer, ist für seine Mitarbeiter die Vaterfigur, der „Große Mann“, wenn er deren Vater-Kind-Beziehung durch sein Auftreten aktiviert.

Sigmund Freud hat 1939 eindrucksvoll herausgearbeitet, woher die Sehnsucht nach Autorität bei uns stammt:

„Wir wissen, es besteht bei der Masse der Menschen ein starkes Bedürfnis nach einer Autorität, die man bewundern kann, der man sich beugt, von der man beherrscht, eventuell sogar misshandelt wird… Es ist die Sehnsucht nach dem Vater, die jedem von seiner Kindheit her innewohnt… Man muss ihn bewundern, darf ihm vertrauen, aber man kann nicht umhin, ihn auch zu fürchten.“ (Freud 1986, S. 555 f.)

 

Personalführung = Vormundschaft für unmündige Kinder?

Auf meiner Suche nach Kriterien guter Führung hat mich die Erkenntnis schockiert, dass der Begriff „Personalführung“ selbst ja dem Vater-Kind-Verhältnis entspringt. Bereits im Jahr 1988 hatte Klaus Türk die Überwindung der Kategorie „Personalführung“ gefordert. Mit diesem Begriff wird nach Türk unterstellt, dass Mitarbeiter

„…offenbar einer Vormundschaft bedürfen, weil sie unwissend, faul, unmotiviert, vielleicht sogar undiszipliniert seien. Sie müssen belohnt und bestraft, erzogen und gelenkt, motiviert und angewiesen werden, damit sie das tun, was gefordert wird…“ (Türk 1988, S. 4)

 

Wie wir wissen, kann die Vater-Kind-Beziehung zwischen Führer und Geführten geraume Zeit stabil bleiben. Es kommt dann allerdings immer wieder auch zu Befreiungsaktionen, die nicht selten durch Führer angeführt werden, die wiederum andere Archetypen ansprechen. Von diesen Archetypen, dem Helden und dem Heilsbringer handeln meine nächsten Beiträge.