Führung verstehen – Teil 2: Archetypen

Unsere Beziehungen sind durch Urbilder geprägt, Carl Gustav Jung nennt sie Archetypen. Sie reichen bis in unsere tierische Vergangenheit zurück und sind bei uns allen auch heute noch unbewusst wirksam (vgl. Jung 2011; Neuberger 1995, S. 41 ff.)

Es war das Jahr 1995 und ich war als junger Professor (siehe meinen Beitrag „Vergessen Sie Führungsstile“) immer noch auf der Suche nach Antworten auf die Frage:

Wie kommt es, dass sich erwachsene Menschen dem Herrschaftsanspruch von Führern freiwillig und freudig unterwerfen?

 

Beziehung führt

Die Meinung, die Stärksten und Intelligentesten würden naturwüchsig die Führung übernehmen und die Masse würde ihnen dann willig folgen, ist schon seit langem als Ideologie enttarnt. Die „großen Führer“, die wir aus der Geschichte kennen, waren weder besonders stark noch übermäßig intelligent. Es muss andere Mechanismen geben, die ihnen „das Volk“ in die Arme treibt.

Besondere Eigenschaften oder vorbildliches Führungsverhalten, können nicht ausschlaggebend für erfolgreiche Führung sein, denn allzu oft machen die Führer alles „falsch“, handeln genau entgegengesetzt zu dem, was in den Lehrbüchern empfohlen wird, und die Menschen folgen ihnen trotzdem. Eigenschafts- und Verhaltensansätze greifen zu kurz, denn sie sind blind für den Blick auf das Gegenüber, auf die Geführten.

Wann lassen wir uns (ver)führen?

Unter welchen Umständen sind wir bereit, anderen Menschen zu folgen? Lassen wir uns führen, wenn der Andere uns „richtig“ führt? Nein! Allzu schnell würden wir uns „ge-führt“ fühlen und misstrauisch oder bockig werden. Wir lassen uns führen, wenn uns die Welt chaotisch und gefährlich vorkommt, wenn wir ängstlich, unsicher, faul oder verliebt sind, wenn wir auf Wunder hoffen und beschützt werden wollen, wenn wir weisen Rat oder Erlösung herbeisehnen, wenn uns jemand den Weg zu neuen Abenteuern zeigen soll. Es geht nicht um „Richtig“ oder „Falsch“, sondern es geht um Gefühle, die sich ja nicht vermessen und sachlich bewerten lassen. Im Betrieb lassen wir uns besonders gern führen, wenn wir uns davon Anerkennung und Sicherheit versprechen. Wir lassen es zu, geführt zu werden, wenn wir uns davon die Erfüllung von tief verwurzelten Wünschen und Bedürfnissen versprechen. Wenn es Leuten gelingt, unsere oft verschütteten Motive zu aktivieren und wir das Gefühl haben, bei ihnen Erfüllung zu finden, dann lassen wir diese Führungsbeziehung zu. Eine zentrale Rolle beim Aufbau von Führungsbeziehungen spielen Archetypen.

Archetypen prägen unser Konsumverhalten

Archetypen – der Vater, der Erlöser, die Verführerin, der Weise, die Mutter, der Held, der Abenteurer, das Mädchen, der Zauberer… – werden genutzt, um Marken zu etablieren. Red Bull spielt z.B. auf den Archetyp des „Abenteurers“ an, Mövenpick zielt eher auf emotionale Archetypen wie die „Liebhaberin“ oder den „Verführer“ und Hohes C auf den „Vater“, der uns vor Vitaminmangel beschützt.

Führung wird sozial konstruiert

Solche Archetypen liegen auch der Beziehung zwischen Führer und Geführten zugrunde. Führung ist nicht etwa irgendetwas Rationales, Vermessbares, sondern eine Beziehung zwischen einem Menschen, der an der Spitze stehen will und den übrigen Menschen. Der Mensch an der Spitze ist nicht etwa stärker als die anderen oder klüger oder mutiger. Er erhebt aufgrund von äußeren Umständen zum passenden Zeitpunkt mit dem passenden Habitus den Anspruch auf die Führung. In unserer vernetzten Gesellschaft hat ein solcher Mensch meist erhebliche Ressourcen für die Kommunikation seines Führungsanspruchs. Was sich da abspielt, nennen Wissenschaftler Soziale Konstruktion. Vorlage dafür sind über Jahrtausende erprobte Handlungsschablonen für das Wechselspiel von Herrschaft (= legitimierte Machtausübung) und Unterwerfung. Und diesen Handlungsschablonen liegen wiederum unsere Urbilder, die Archetypen, zugrunde.

In meinem nächsten Beitrag werde ich darstellen, wie sich der Archetyp „Vater“ auf unsere Führungsbeziehungen auswirkt.