Führung verstehen – Teil 12: Das Prinzip der Arbeitsteilung begreifen!

Der Begriff „Arbeitsteilung“ kommt in den heutigen Diskussionen um „Arbeit 4-0“ nicht mehr vor. Er scheint antiquiert und in die Zeit der Dampfkraft zu gehören. Wenn in Zeiten von Social Media und „Internet der Dinge“ Maschinen miteinander „sprechen“, wo sind da die Menschen und wie arbeiten und sprechen sie miteinander? In den Verlautbarungen der Hersteller- und Beraterindustrie kommen Menschen neben IT-Systemen, Robotik, Sensorik, 3-D-Druckern, Clouds und Big Data jedenfalls nicht vor. „Individualisierung“ sei das Zeichen der Zeit, so die Arbeitsministerin. Sie möchte einen Ausgleich schaffen zwischen den Flexibilitätsanforderungen der Unternehmen und den Bedürfnissen der Beschäftigten.

Das ist gar nicht so einfach, denn wie viel Zeitsouveränität wird uns unser Unternehmen zubilligen, wenn die Kunden ihre individuellen Produkte und Dienstleistungen just in time abrufen? Wenn technische Systeme künftig immer enger miteinander „kooperieren“, wie ist dann die Arbeit der Menschen organisiert? Können wir die Produktions- und Arbeitsprozesse noch überblicken oder gar steuern? Haben wir überhaupt noch einen Plan, was da tatsächlich geschieht?

Sicher, auch die Organisation von „Arbeit 4.0“ ist prinzipiell gestaltbar. Aber die Grenzen, die uns die Funktionalität der Systeme setzen, werden mit wachsender Komplexität immer enger. Wo Taylor noch mit Arbeitsanweisungen hantieren musste, normieren heute Softwareroutinen die menschlichen Eingriffsmöglichkeiten. Software gestaltet Arbeit. Wenn wir mitgestalten wollen, sollten wir uns die Grundprinzipien der Arbeitsorganisation zu Gemüte führen. Der Kern der Arbeitsorganisation ist die Arbeitsteilung, die ich hier in ihren Ursprüngen beleuchten will:

Das Prinzip der Arbeitsteilung

Arbeitsteilung geschieht in zwei Stufen:

  1. Der Arbeitsprozess wird in einzelne Arbeitsgänge zerlegt.
  2. Die Teilarbeiten werden auf verschiedene Personen aufgeteilt, die künftig nur noch dieselbe Teilarbeit ausführen.

Je nach Umfang der Arbeitsgänge und nach Personen(gruppen), die die Teilarbeiten ausführen, können verschiedene Formen von Arbeitsteilung unterschieden werden.

Schema Arbeitsteilung © professore.de

So entstand eine handwerkliche Arbeitsteilung quasi naturwüchsig aus der Spezialisierung auf bestimmte Berufe. Auch die Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land ergibt sich aus bestimmten Ausdifferenzierungen, die jeder Gesellschaftsform von statten gehen, während eine geschlechterspezifische Arbeitsteilung eher als eine Frage der jeweiligen Kultur und historischen Entwicklungsstufe angesehen werden muss.

Fabrikarbeit und Industrielle Arbeitsteilung

Die Industrielle Arbeitsteilung ist eine Sonderform, die erst mit der industriellen Fabrikarbeit auftrat. Mit der industriellen Arbeitsteilung wird eine Teilung der Arbeit in Einzelaufgaben innerhalb eines Arbeitsprozesses bezeichnet. Damit werden bisherige Berufe aufgeteilt und die Arbeitskräfte werden zu „Detailarbeitern“ (vgl. Braverman 1985, S. 63 ff.). Die Industrielle Arbeitsteilung lässt sich in zwei grundsätzlich verschiedene Kategorien aufteilen:

  • Die horizontale Arbeitsteilung findet im „Fordismus“ ihre Ausprägung, Stichwort: Fließbandarbeit.
  • Die vertikale Arbeitsteilung ist als „Taylorismus“ bekannt. Stichwort: Trennung von Hand- und Kopfarbeit.

Horizontale Arbeitsteilung

Sie ist gekennzeichnet durch eine Zerlegung der Arbeitsprozesse in kleinste Arbeitsschritte. Diese Zergliederung geht weit über die funktionale und die berufsbezogene Arbeitsteilung hinaus. Die Arbeitsschritte werden so aufgeteilt, dass eine Spezialisierung für einzelne Tätigkeitssegmente bei den ausführenden Arbeitskräften eintritt. Dadurch entstehen unqualifizierte, repetitive Teilarbeiten. Das technologische Synonym für die horizontale Arbeitsteilung ist das Fließband.

Fließbandarbeit bei Ford 1913

Babbage, ein Ökonom und Entwickler erster mechanischer Rechenmaschinen, formulierte die ökonomischen Vorteile der mit der Aufspaltung der Arbeit in kleinste Arbeitsschritte möglich gewordenen Lohndifferenzierung sehr treffend:

„…doch scheint es mir, dass jeder Versuch, den niedrigen Preis von Fabrikwaren als eine Folge der Arbeitsteilung zu erklären, unvollständig wäre, wollte man es unterlassen, das folgende Prinzip anzuführen. Dass nämlich der industrielle Unternehmer durch Aufspaltung der auszuführenden Arbeitsgänge, von denen jeder einen anderen Grad an Geschicklichkeit oder Kraft erfordert, gerade genau jene Menge von beidem kaufen kann, die für jeden dieser Arbeitsgänge notwendig ist; wogegen aber, wenn die ganze Arbeit von einem einzigen Arbeiter verrichtet wird, dieser genügend Geschicklichkeit besitzen muss, um die schwierigste, und genügend Kraft, um die anstrengendste dieser Einzeltätigkeiten, in welche die Arbeit zerlegt worden ist, ausführen zu können.“ (Babbage 1833, S. 175, zitiert nach Braverman 1985, S. 70)

 

Vertikale Arbeitsteilung

Sie ist gekennzeichnet durch eine Trennung von Planung und Ausführung der Arbeit. Dadurch kommt es zu einer Verlagerung des Arbeitswissens vom Arbeiter zum Management, welches alle Arbeitsschritte plant und die Ausführung durch die Arbeitskräfte umfassend kontrolliert. Das organisatorische Synonym für die vertikale Arbeitsteilung ist der Taylorismus.

Mechaniker bei Tabor Co. einer der Vorzeigefirmen Taylors um 1905, Quelle: Hebeisen, Walter: F. W. Taylor und der Taylorismus : über das Wirken und die Lehre Taylors und die Kritik am Taylorismus. Zürich: vdf, 1999. – ISBN 3-7281-2521-0. S. 52.

 

Taylorismus basiert also auf der organisatorischen Trennung von Hand- und Kopfarbeit. Taylor selbst beschreibt die für das Management gravierenden Mechanismen der vertikalen Arbeitsteilung:

„Den Leitern fällt es zu, all die überlieferten Kenntnisse zusammenzutragen, die früher Alleinbesitz der einzelnen Arbeiter waren, sie zu klassifizieren und in Tabellen zu bringen, aus diesen Kenntnissen Regeln, Gesetze und Formeln zu bilden, zur Hilfe und zum Besten des Arbeiters bei seiner täglichen Arbeit.“ (Taylor 1983 (Nachdruck von 1919), S. 33)

 

„Alle Kopfarbeit unter dem alten System wurde von dem Arbeiter mit geleistet und war Resultat seiner persönlichen Erfahrung. Unter dem neuen System muss sie notwendigerweise von der Leitung getan werden in Übereinstimmung mit wissenschaftlich entwickelten Gesetzen. (…) Es ist also ohne weiteres ersichtlich, dass in den meisten Fällen ein besonderer Mann zur Kopfarbeit und ein ganz anderer zur Handarbeit nötig ist.“ (Taylor 1983 (Nachdruck von 1919), S. 40)

 

„Nur durch zwangmäßige Einführung einheitlicher Arbeitsmethoden, durch zwangmäßige Einführung der besten Arbeitsgeräte und Arbeitsbedingungen, durch zwangmäßiges Zusammenwirken von Leitung und Arbeitern kann ein schnelleres Arbeitstempo gesichert werden. Die zwangmäßige Einführung all dieser Dinge kann aber selbstredend nur Sache der Leitung sein.“ (Taylor 1983 (Nachdruck von 1919), S. 86 f.)

 

Wenn heute in einem Unternehmen ein größeres Computersystem eingeführt wird, so geht dem eine lange, komplexe und stellenweise auch konfliktreiche Gestaltung der Arbeitsorganisation voraus. Ist-Prozesse werden aufgenommen und Soll-Prozesse werden modelliert. Dabei werden typischerweise Organisationsprinzipien verfolgt, die eine möglichst durchgängige Funktionsweise des technischen Systems gewährleisten. Changemanagement besteht dann in der Regel aus der Formulierung neuer Stellenbeschreibungen. Wer hier noch mitgestalten will, stößt schnell in mehrfacher Weise an „Systemgrenzen“.

Aber die Frage ist natürlich, ob wir hier überhaupt noch mitgestalten wollen. Vielleicht ist ja alles zum allgemeinen Wohl bestens in den technischen Systemen geregelt? Sind wir in Arbeit 4.0 wirklich noch Herr des Geschehens?