Führung verstehen – Teil 17: Tayloristisches Menschenbild

Taylorismus und damit vertikale Arbeitsteilung (vgl. Beitrag 12) sind auch heute noch allgegenwärtig. Zwar haben sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Westeuropa in Richtung Demokratie und Mitbestimmung verändert. Jedoch herrscht Taylors Geist immer noch in unseren Köpfen – und in manchen Branchen auch noch in den Bandstraßen und Callcentern. Ganz zu schweigen von den Führungs- und Arbeitsmethoden auf den „verlängerten Werkbänken“ der Welt, wo horizontale und vertikale Arbeitsteilung in Reinkultur und vielfach verfeinert praktiziert werden.

Taylor hatte mit seiner „Wissenschaftlichen Betriebsführung“ auch deshalb weltweiten Erfolg, weil sie mit dem Menschenbild zu Anfang des 20. Jahrhunderts übereinstimmte:

Tayloristisches Menschenbild

  • Menschen werden als unzuverlässige Maschinen betrachtet.
  • Der Mensch gilt als Unsicherheitsfaktor im maschinisierten Produktionsprozess.
  • Als Folge davon meint man, Menschen müssten umfassend kontrolliert und gesteuert werden. Und man glaubt, dass Menschen umfassend kontrollierbar sind (Kontrollparadigma).
  • Arbeiter werden lediglich als billige Produktionsfaktoren gesehen (instrumentale Sicht).
  • Man meint, Arbeiter hätten nur primäre Bedürfnisse (motivationale Sicht).
  • Man meint, Arbeiter würden nur das eine Ziel, die Befriedigung ihrer primären Bedürfnisse verfolgen: „homo oeconomicus“ (zweckrationale Sicht).
  • Man meint, Arbeiter könnten ihre Arbeit nicht selbst organisieren, sondern müssten von Managern systematisch zur Leistung angehalten werden (machtpolitische Sicht).

Das mechanistische Menschenbild des Taylorismus kommt in Taylor’s Beschreibung des deutschen Einwanderers Schmidt treffend zum Ausdruck („Migrationshintergrund“ einmal umgekehrt):

„Ein Mann, der sich in dem Beruf eines Roheisenverladers auf die Dauer wohl fühlt, muss natürlich geistig sehr tief stehen und recht gleichgültig sein. Ein aufgeweckter Mann ist deshalb ganz ungeeignet zu einer Arbeit von solch zerreibender Einförmigkeit. Der Arbeiter, der sich am besten hierfür eignet, ist deshalb nicht imstande, die theoretische Seite dieser Arbeit zu verstehen“ (Taylor 1983, S. 62)

 

Aber ist denn diese geistige Haltung so anders als diejenige, die im Begriff „Personalführung“ zum Ausdruck kommt? Hier sei noch einmal Klaus Türk zitiert, der 1988 schrieb, mit diesem Begriff würde unterstellt werden, dass Mitarbeiter

„…offenbar einer Vormundschaft bedürfen, weil sie unwissend, faul, unmotiviert, vielleicht sogar undiszipliniert seien. Sie müssen belohnt und bestraft, erzogen und gelenkt, motiviert und angewiesen werden, damit sie das tun, was gefordert wird…“ (Türk 1988 zitiert nach Neuberger 1995, S. 46)

 

Taylor ging davon aus, dass Menschen genauso unproblematisch eingesetzt werden können, wie jedes andere Werkzeug. In seiner Methode der „Wissenschaftlichen Betriebsführung“ wird unterstellt, dass Arbeiter lediglich durch ein ökonomisch definiertes Selbstinteresse zur Arbeit motiviert werden könnten. Man nahm an, sie würden versuchen, ihren Arbeitsaufwand möglichst gering zu halten und dabei ihren Lohn zu maximieren.

Von den Arbeitern wird gemäß dem tayloristischen Menschenbild insgesamt Folgendes angenommen:

Sitting workers with shovels on the rest, fotolia

  • Arbeiter lassen sich hauptsächlich durch materielle Anreize zur Arbeit motivieren.
  • Sie sind nicht fähig und auch nicht bereit, ihre Arbeit selbst zu planen und nach rationellen Gesichtspunkten zu verrichten.
  • Arbeiter haben ein ständiges Bestreben, sich vor der Arbeit zu drücken und die eigene Leistung zurückzuhalten.
  • Arbeiter sind bereit, sich auf passives Verhalten zu beschränken und sich durch Vorgesetzte manipulieren, motivieren und kontrollieren zu lassen.
  • Arbeiter sind bereit, ihre privaten Interessen und die Interessen des Unternehmens auseinander zu halten und ihre Gefühle am Arbeitsplatz als Privatsache zu betrachten.

Einem solchen Typus von Arbeiter wird das Bild des Vorgesetzten gegenübergestellt, der sich aufgrund eigener Zielsetzungen selbst kontrolliert und motiviert (heute „Selbstmanagement“ genannt) und seine persönlichen Ziele denen der Organisation unterordnet. Er hat die Aufgabe,

  • den Produktionsprozess effektiv gestalten,
  • das Personal zweckentsprechend auswählen und ausbilden,
  • der ihm verliehenen Positions-Autorität Geltung verschaffen und
  • durch Kontrolle eine hohe Arbeitsleistung und Konfliktvermeidung garantieren.

Während Taylors Arbeitsgebiete die Werkstatt und der Produktionsbereich waren, übertrugen seine Nachfolger die taylor’schen Rationalisierungsgrundsätze auch auf den Verwaltungsbereich und damit in einen Bereich mit komplexeren Arbeitsbedingungen und qualifizierteren Mitarbeitern.

Taylorismus ist in entwickelten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften unproduktiv!

Dem Taylorismus liegt ein instrumentales, mechanistisches Menschenbild zugrunde, welches den Menschen entwürdigt und ihn als geistlose Maschine darstellt. Dies ist für die meisten Arbeitnehmer moderner Unternehmen heute unzumutbar. Taylorismus zerstört die „Liebe zum eigenen Produkt“, die für das Sinnempfinden von Menschen sehr wichtig ist. Qualitätsarbeit, Fleiß, Pünktlichkeit, Verantwortungsbewusstsein, Ordentlichkeit, Disziplin, Befriedigung durch die Arbeit bleiben dabei auf der Strecke. Das Resultat können Misstrauen, Resignation, Interesselosigkeit, Gleichgültigkeit bezüglich der Arbeit sein.

Tastatur mit Windmühle, photocaseIn der tayloristischen Arbeitsorganisation werden die nicht messbaren menschlichen Fähigkeiten unterdrückt. Gefühle haben am Band nichts zu suchen, Befindlichkeiten und Krankheiten sind vor den Werkstoren abzugeben. Selbstorganisierte Arbeit in Gruppen, emotionale Intelligenz und Kreativität, die in den heutigen komplexen Arbeitsprozessen unabdingbar sind, haben unter tayloristischen Verhältnissen keine Chance. Umgekehrt: Überall dort, wo Vorschriften, Aktenmäßigkeit und Kontrolle die Oberhand haben, muss man damit rechnen, dass die Menschen im Unternehmen tatsächlich Dienst nach Vorschrift machen und gegebenenfalls auch mal gegen das Unternehmen arbeiten.