Führung verstehen – Teil 14: Führung Best Fit

Die Lehren der Geschichte

Die Art und Weise, wie in den Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften geführt wird, hat sich in den letzten 150 Jahren stark verändert. Je nach wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen war die eine oder andere Führungsphilosophie erfolgreich. Wenn sich die Rahmenbedingungen geändert hatten, entstanden neue Führungsleitbilder.

FührungsansatzMenschenbildEinfluss auf das Führungsverhalten
Taylorismus und BürokratieSchlecht funktionierende MaschineAnweisung und Kontrolle
Human RelationsSoziales GruppenwesenMotivierungsstrategien, Anreizsysteme
SystemorientierungBewältiger von KomplexitätStrukturen, Typen, Rollen
OrganisationskulturEmotionales Wesen, SinnsucherInformelle Führung, soziale Integration
MikropolitikStrategisch denkender sozialer AkteurUmgang mit Macht und Konflikten
Interaktionales FührenMenschenbild der Humanistischen Psychologie, Tit for TatVertrauen, Selbstorganisation, Selbstverantwortung

Nicht Best Practice, sondern Best Fit zählt!

Die Art zu führen, die Sie heute in Ihrem Unternehmen vorfinden, ist diejenige, die sich

  • für ein spezielles Unternehmen
  • in einem speziellen Marktsegment
  • in der heutigen Zeit
  • unter den heutigen gesellschaftlichen Bedingungen
  • mit den heutigen Mitarbeitern

herausgebildet hat. Zu anderen Zeiten wurde anders geführt. In anderen Kulturen wird anders geführt. Jedes Unternehmen verfolgt diejenige Führungsstrategie und -kultur, die dort als erfolgreich angesehen wird.

Führungsverhalten und Führungsinstrumente können also nicht pauschal von einem Unternehmen auf das andere übertragen werden, wie dies heute die Managementliteratur oft unter der Überschrift „Best Practice“ nahe legt. Es muss immer beachtet werden, dass der Führungsstil und die Gegebenheiten im Unternehmen zusammenpassen. Dies nennt man dann nicht „Best Practice“, sondern „Best Fit“.

Moderne Führungsansätze sind interaktionsorientiert

Moderne Führungsansätze gehen davon aus, dass Führung nicht einseitig sondern wechselseitig in Gruppen geschieht. Man spricht hier von sozialer Interaktion. In Führungsprozessen spielt deshalb die subjektive Wahrnehmung eine große Rolle:

Nicht mehr die absolute Wahrheit und die Frage, wer „Recht hat“, steht im Mittelpunkt von Führungsverhalten, sondern das Akzeptieren des Gegenüber. Die Erkenntnis „Jeder hat Recht“ – jedenfalls aus seiner/ihrer Perspektive – setzt sich immer mehr durch. Dem Gegenüber wird zugestanden, seine eigene Sicht der Dinge zu haben, die ihn oder sie dann zu bestimmten Urteilen oder Handlungsweisen inspiriert. Die Frage ist dann, wie das System Ich-Du-Er-Sie produktiv funktionieren kann.

 

Gruppen- und individualpsychologische Grundlagen sind für moderne Führung konstituierend. Führung wird als Interaktionsbeziehung gesehen. Gute Führungskräfte sind diejenigen, die in konstruktive Beziehungen mit anderen Menschen treten können und sich bemühen, das Gegenüber in seiner Sichtweise zu verstehen.

Wohin soll sich Ihre Führungsbeziehungen entwickeln?

Wenn „Best Fit“ also die Devise ist, dann entsteht natürlich sofort die Frage, wie Sie als Führungskraft und Ihre Organisation bzw. Ihr Unternehmen nun eigentlich zusammenpassen (siehe hierzu auch die Beratungsangebote von professore.de). Und hier gilt wieder, was wir aus Teufelskreisen und Clinchsituationen gelernt haben:

Irgendwann hat die Führungskraft die Mitarbeiter, die sie verdient und die Mitarbeiter haben die Führungskraft, die sie verdienen. Die Führungskräfte arbeiten in einem Unternehmen, welches sie verdienen und auch das Unternehmen hat die Führungskräfte, die es verdient…

 

Es gilt nun aber, frühzeitig die Entwicklungsrichtung dieser wechselseitigen sozialen Konstruktion zu bestimmen und zu beeinflussen. Das betrifft sowohl den Umgang mit den Mitarbeitern als auch die Auseinandersetzung mit den Unternehmensstrukturen.

Change the Management

Was passiert nun im einzelnen, wenn die Struktur des Unternehmens und Ihr persönliches Führungsverhalten nicht zusammenpassen? Dann steht Veränderung ins Haus, dann beginnt vielfach auch ein Prozess den wir „Change the Management“ nennen und in dem Führung eine herausragende Rolle spielt.

Change the Management © professore.de

Vereinbarkeit 1 – Stabilitätsfixierung: Wenn das Unternehmen streng hierarchisch geführt wird, dann passen Sie hierher, wenn Sie Ihren Mitarbeitern genau vorgeben, was diese zu tun und zu lassen haben. Morgens überlegen Sie sich, was jeder einzelne Mitarbeiter zu tun hat. Dann geben Sie Arbeitsanweisungen und kontrollieren deren exakte Ausführung. Reden bei der Arbeit oder gar Kaffeetrinken ist verboten. Hier wird also der althergebrachte Zustand stabilisiert.

Unvereinbarkeit 1 – Flexibilitätsinsel: Wenn Sie aber als Führungskraft in ein solches Unternehmen kommen, und vieles ändern und modernisieren wollen, dann geraten Sie leicht unter Druck, weil Sie sich nicht im Einklang mit den Unternehmensstrukturen befinden. Wenn Sie mit ihren neuen Methoden allerdings erfolgreich sind und die Leistung Ihres Führungsbereichs steigern können, dann werden Sie zu einer Zelle des Wandels und können mit Gleichgesinnten einen Change-Prozess für das Unternehmen initiieren.

Unvereinbarkeit 2 – Stabilitätsinsel: Es gibt aber auch den umgekehrten Fall, in dem die Unternehmensstruktur top down durch einen breit angelegten Wandlungsprozess flexibler gestaltet  werden soll. Hier können dann Vorgesetzte als Opponenten auftreten, die sich einem solchen Wandel widersetzen. Besonders, wenn sie mit ihrem althergebrachten Führungsverhalten bei ihren Mitarbeitern erfolglos bleiben, müssen solche Vorgesetzten oft das Unternehmen verlassen.

Vereinbarkeit 2 – Flexibilitätsbetonung: Schließlich gibt es noch den Fall, dass sowohl Unternehmensstruktur als auch das persönliche Führungsverhalten mitarbeiterorientiert sind. In diesem Fall sind Abwärts- und Aufwärtskommunikation – z.B. Vorgesetzten-Feedback – gleichermaßen wichtig. Hier gibt es – erst einmal – nicht viel zu ändern.

Für eine Führungskraft, die neu in ein Unternehmen kommt, ergeben sich daraus erhebliche Konsequenzen: Sie können dort eben nicht sofort Ihre Vorstellungen von ‚guter‘ Führung umsetzen. Zunächst müssen Sie sich über die Policies und Gepflogenheiten des Unternehmens klar werden und die Regeln und Normen kennen lernen. Langsam können Sie dann in Ihrem persönlichen Umkreis mit Ihrem Führungsverhalten die „Muster brechen“ und Schritt für Schritt – mit Gleichgesinnten – die strukturalen Führungsvoraussetzungen nach ihren Vorstellungen verändern. Als Führungskraft sind Sie also immer auf beiden Ebenen aktiv: Auf der strukturalen Ebene betätigen Sie sich als Organisationsgestalter und auf der interaktionalen Ebene gestalten Sie die Beziehungen zu Ihren Mitarbeitern.