Führung verstehen – Teil 13: Führen Sie bürokratisch?

Der Mensch als Aufgabenträger

In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde der bürokratisch-administrative Führungsansatz – von Deutschland ausgehend – weltweit verbreitet. Mit seinen Prinzipien und Methoden wurde versucht, die Arbeit der sprunghaft gewachsenen Zahl der Angestellten und Beamten in Unternehmen und staatlichen Verwaltungen zu organisieren. Als Begründer gelten der deutsche Sozialökonom Max Weber (1864 – 1920) und der französische Betriebswirt, Henri Fayol (1841 – 1925).

Taylorismus für die Angestellten

Im Zuge der Durchstrukturierung der Unternehmen nach den Prinzipien der wissenschaftlichen Betriebsführung von Taylor waren um den eigentlichen Produktionsprozess herum Heerscharen von Angestellten entstanden. Diese sollten nun nach ähnlichen Prinzipien organisiert werden, wie die Arbeiter im produktiven Bereich. Man kann den bürokratisch-administrativen Ansatz damit durchaus als „Taylorismus für die Angestellten“ bezeichnen.

Quelle der Abb.: Von der Waschfrau zum Fräulein vom Amt : Frauenarbeit durch drei Jahrhunderte / Franz Severin Berger / Christiane Holler. - Wien : Ueberreuter, ©1997. -- ISBN 3-8000-3661-4. -- S. 187

Abb.: Betriebskultur in Großraumbüro, Wien 1910: Die Männer diktieren, die Frauen schreiben

Theorie der Bürokratie von Max Weber

Eine Bürokratie ist eine Organisation, die größtmögliche Effizienz und legale Herrschaft verkörpert. Kennzeichen des Ansatzes von Max Weber (vgl. Weber 1921) ist die hohe vertikale Arbeitsteilung, also der Aufbau vielstufiger Hierarchien. Ähnlich wie der Arbeiter beim Taylor-Ansatz sich keine Gedanken um die eigenen Arbeitszusammenhänge machen darf, soll nun der Angestellte und Beamte lediglich in den ihm zugewiesenen engen Hierarchieebenen agieren können. Von oben nimmt er Weisungen entgegen, führt diese exakt aus, und nach unten gibt er Weisungen, die ebenfalls genauestens ausgeführt werden. Nur innerhalb der eigenen Hierarchieebene ist der Angestellte/Beamte zuständig. Alles andere interessiert ihn nicht und hat ihn auch nicht zu interessieren. Der gesamte Arbeitsvorgang wird schriftlich dokumentiert und ist so vollständig nachvollziehbar. Das nennt man „Aktenmäßigkeit“.

Kennzeichen der Arbeitsorganisation nach dem Bürokratie-Ansatz

  • Arbeitsteilung führt zu funktioneller Spezialisierung,
  • genau fixierte Autoritätshierarchie,
  • System von Regeln, das Rechte und Pflichten der Positionsinhaber festlegt,
  • System der Beförderung und des Aufstiegs,
  • standardisierte Arbeitsabläufe und Aktenmäßigkeit,
  • Unpersönlichkeit der menschlichen Beziehungen,
  • Vorstellung einer umfassenden Planbarkeit von Prozessen und Beziehungen,
  • Vorstellung einer unbegrenzten Kontrollierbarkeit von Menschen.

Bürokratie heute?

Obwohl Bürokratie heute von niemandem mehr ernsthaft propagiert wird, sind in heutigen Führungsleitbildern noch viele Fragmente davon enthalten, so dass auch hier kritische Hinweise angebracht sind:

  • Der Ansatz ist nicht geeignet für Organisationen, in denen Probleme kreativ gelöst werden müssen. Der Ansatz begünstigt ein mechanistisches Denken.
  • Aspekte der Motivation und der Arbeitszufriedenheit sind nicht berücksichtigt. Der Ansatz geht davon aus, dass die Unterordnung der Menschen unter eine vorgegebene Hierarchie immer funktioniert.
  • Bei zwangmäßiger Unterordnung entsteht das Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber dem mächtigen Apparat. „Dienst nach Vorschrift“ und „innere Kündigung“ können die Folge sein.
  • Es besteht die Gefahr der Übersteigerung: Präzision wird zu Pedanterie, Stabilität wird zu Starrheit, schriftliche Dokumentation wird zu Papierkrieg usw.
  • Es wird so getan, als ob eine Organisation unter immer gleichen Umweltbedingungen existieren würde. Es wird also die Situationsabhängigkeit von Organisation nicht gesehen. Daraus folgt eine mangelnde Anpassungsfähigkeit.
  • Es wird so getan, als ob die Unternehmensziele konstant seien. Aus diesem Grunde werden notwendige Zielbildungsprozesse, bei denen gemeinsam mit allen Stakeholdern agiert werden muss, vernachlässigt.

Oft wird so getan, als ob Bürokratie heute immer noch das Organisationsmodell der Öffentlichen Verwaltung sei. Obwohl in vielen Fällen noch Optimierungsbedarf besteht, hat sich unsere Öffentliche Verwaltung in den letzten Jahrzehnten in der Gesamtsicht enorm modernisiert und von bürokratischen Zwängen befreit. Allerdings gibt es Unterschiede zur Wirtschaft, die eine andere Organisation erfordern: Die Öffentliche Verwaltung ist rechts- und gesetzesgebunden. Dies erfordert z.B. Aktenmäßigkeit.

Welchen Herausforderungen sich Führung heute in der Öffentlichen Verwaltung stellen muss, werde ich im nächsten Beitrag erörtern.