Führung verstehen – Teil 10: Der Einfluss von Führungskräften

Ich glaube, die gegenwärtige Diskussion um die Entrümpelung der Unternehmensstrukturen und neue HR-Ansätze würde wesentlich einfacher und effektiver vorankommen, wenn der Einfluss von Führungskräften besser verstanden werden würde. Wenn wir uns darüber unterhalten, wie hierarchisch Führung sein darf, wie viel Freiraum Mitarbeiter brauchen und welche Skills die „neue Führungskraft“ haben muss, sollte klar sein, was wir mit Führung eigentlich meinen. Ich möchte jetzt nicht die 101te Definition von Führung geben. Jeder von uns hat ja seine eigene Sicht auf das Phänomen Führung, Patentrezepte gibt es nicht und letztlich hängt Führungserfolg davon ab, wie viel Einflussnahme die Mitarbeiter ihrer Führungskraft gestatten. Führungskräfte werden ja im Gegensatz zu Vorgesetzten schon immer von ihren Mitarbeitern „gewählt“. Im Folgenden möchte ich die Art und Weise unter die Lupe nehmen, mit der Führungskräfte Einfluss ausüben.

Wir können drei grundsätzliche Einflusssphären identifizieren, die mehr oder weniger ausgeprägt in allen Führungssituationen anzutreffen sind:

  1. Vorgesetzter
  2. Partner in sozialen Beziehungen
  3. Gestalter von Strukturen und Unternehmenskultur

In der folgenden Animation werden diese Einflusssphären noch einmal zusammenfassend dargestellt.

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Im Folgenden nehme ich diese Einflusssphären unter dem Blickwinkel der gegenwärtigen Diskussion um „Digitale Transformation“ „Demokratisierung“ und „Arbeit 4.0“ noch einmal genauer ins Visier:

1. Vorgesetzter

Als Vorgesetzte agieren Führungskräfte im Rahmen der betrieblichen Hierarchie auf der Basis ihrer positionalen Macht, sie sind den Mitarbeitern vor-gesetzt und sorgen mehr oder weniger effektiv dafür, dass diese ihre Arbeit tun. Fast alle Führungskräfte fangen in dieser Rolle an, nicht wenige verharren ein Berufsleben lang in derselben. Wie sie ihre Vorgesetztenrolle wahrnehmen, ob sie den Mitarbeitern mehr oder weniger Handlungs- und Entscheidungsspielräume lassen oder wie weit sie Dienst nach Vorschrift fordern, soll hier zunächst einmal außer Acht bleiben. Führungskräfte sind als Vorgesetzte Teil des unternehmerischen Managements und als solche für den Unternehmenserfolg mitverantwortlich. Sie müssen meist unter Unsicherheit Entscheidungen treffen und orientieren sich dabei mehr oder weniger an den formalen Vorgaben des Unternehmens.

Anders als im derzeitigen Hype der „Digitalen Transformation“ vielfach postuliert, glaube ich nicht, dass es gilt, die Vorgesetztenrolle ganz zu überwinden. Die Erfahrung zeigt – wie auch alle mir bekannten Beispiele „demokratischer“ Unternehmensführung –, dass in einer Marktwirtschaft Hierarchie und legitimierte Machtausübung letztlich immer die Geschicke einer Organisation bestimmen, egal, welches Label sie auf der Stirn tragen. Deshalb gehört die Vorgesetztenrolle nicht auf den „Misthaufen der Geschichte“. Sie sollte aber reflektiert und neu bewertet werden. Das stellt auch HRM, insbesondere die Personal- und Organisationsentwicklung, sicherlich vor interessante Herausforderungen: Wie integrieren wir die Vorgesetztenrolle in die Visionen von Demokratisierung? Soll gewählt werden und welche Wahlmodi funktionieren? Reichen unsere Tools zur Identifizierung von Führungstalenten noch aus? Welche neuen Aspekte guten Managements müssen beachtet werden?

2. Partner in sozialen Beziehungen

Vorgesetzte werden zu Führungskräften in dem Maße, wie sie es erreichen, dass ihre Mitarbeiter, Kollegen, Vorgesetzte und Kunden sie als Partner schätzen und anerkennen und mit ihnen konstruktiv an der Verwirklichung gemeinsamer Ziele arbeiten. In ihren sozialen Beziehungen „konstruieren“ sich dabei alle Beteiligten wechselseitig (vgl. Beitrag 9). In der Führungsbeziehung entsteht so die Wechselwirkung von Führen und Geführtwerden, in der beide Seiten voneinander abhängig werden.

Gute Führungskräfte müssen in der Lage sein, produktive informale Beziehungen aufzubauen. Sie müssen Vertrauen schaffen, Entwicklung fördern, Hilfe zur Selbsthilfe bieten, Orientierung geben usw. Dabei gehen sie achtsam mit Macht um, meiden diese aber nicht, sondern sind agiler Player in den allgegenwärtigen mikropolitischen Machtspielen ihrer Unternehmen. Das ist nichts Neues, was aber neu sein könnte, ist, dass wir den „wir-haben-uns-alle-lieb-und-unsere-Arbeit-macht-uns-so-dollen-Spaß“-Schleier, der noch über der Transformationsdiskussion liegt, etwas lüften und die Realitäten, denen wir uns alle unbewusst beugen, ins ungeschminkte Auge schauen. Auch hier könnte die Personal- und Organisationsentwicklung wichtige Beiträge leisten. Es muss aus meiner Sicht heute vielmehr als bisher um die Frage gehen, wie Mikropolitik im Unternehmen aber auch (und in zunehmendem Maße) in „Sozialen Netzwerken“ funktioniert, wie Werte gelebt werden und wie sich Unternehmen auf die neuen sozialen und mikropolitischen Herausforderungen einstellen können. Bei alledem wäre zu beachten, dass hier keine neuen Regeln zu erfinden sind, sondern dass alle Beteiligten genügend Gelegenheiten und Ressourcen erhalten, um über ihre (Führungs-)Rolle zu reflektieren und sich mit anderen Menschen auch außerhalb der Sozialen Netzwerke zu vernetzen (z.B. Kollegiale Beratung, Seitenwechsel etc.).

3. Gestalter von Strukturen und Unternehmenskultur

Als Vorgesetzte wie auch als Partner in sozialen Beziehungen arbeiten Führungskräfte im Rahmen der herrschenden Strukturen sowie der gewachsenen Kultur ihres Unternehmens und müssen ihr Handeln darauf abstimmen. Sie sind selbst – entweder durch aktive Mitwirkung oder auch durch Duldung  – immer auch Gestalter ihres Unternehmens, ob ihnen das bewusst ist oder nicht. Nicht selten sind gute Führungskräfte erfolglos, weil ihre Konzepte und Entscheidungen an den Unternehmensstrukturen scheitern oder nicht in die gegenwärtige Unternehmensphilosophie passen.

Führungskräfte sind die natürlichen Change Agents in ihrer Organisation. Für die Personal- und Organisationsentwicklung gilt es, sie als Akteure des Wandels zu adressieren. Kein Vorstand kann ein Unternehmen allein transformieren und sei er noch so „charismatisch“. Konzepte werden leicht hergestellt und Pilotprojekte müssen keine Folgen haben. Wenn Wandel nachhaltig werden soll, so muss er in der Breite angegangen und durchgezogen werden. Führungskräfte, gemeinsam mit ihren Mitarbeitern, müssen den Wandel treiben und umsetzen, ob sie nun in der Linie, in der Matrix oder in Projekten arbeiten. Dies kann nicht von heute auf morgen in Hau-Ruck-Aktionen geschehen, sondern dies entsteht langsam in ständiger Auseinandersetzung mit dem alten System und durch die Bildung von Allianzen mit Gleichgesinnten. Führungskräfte müssen lernen, sich hier einzuklinken und ihre Botschaften „viral“ zu verbreiten. PE/OE muss sie dazu fit machen und ihnen die notwendigen Kompetenzen und Tools dafür vermitteln. Auch deshalb müssen mikropolitische Strategien aus der Schmuddelecke herausgeholt und für die Demokratisierung genutzt werden.

In den nächsten Beiträgen: Organisationale Führung

In den kommenden vier Beiträgen mache ich mit Ihnen einen weiteren Ausflug in das weite Feld der organisationalen Führung. Dabei zeige ich, wie Management und Arbeitsorganisation das Führungsverständnis in Unternehmen prägen. Wir beschäftigen uns mit Taylorismus und den Prinzipien der Arbeitsteilung, die auch heute noch weitgehend in den Denkmustern vieler Führungskräfte verankert sind. Wir schauen uns Bürokratie in ihren Ursprüngen an und werfen einen Blick auf den derzeitigen Wandel in der Öffentlichen Verwaltung und Non-Profit-Organisationen.