Führung verstehen – Teil 6: Führung in Clinch und Teufelskreis

Teufelskreis: Irgendwann hat die Führungskraft die Mitarbeiter, die sie verdient und die Mitarbeiter haben die Führungskraft, die sie verdienen. Auch das Unternehmen hat den Vorstand, den es verdient und eben auch den Betriebsrat, den es verdient.

Zu Beginn meiner Beitragsserie „Führung verstehen…“ war meine Ausgangsfrage:

Wie kommt es, dass sich erwachsene Menschen dem Herrschaftsanspruch von Führern freiwillig und freudig unterwerfen?

 

Einen Teil der Frage können wir nun schon beantworten: Das funktioniert, indem Menschen mit Führungsanspruch es fertig bringen, Urbilder von Herrschaft und Unterwerfung in den Menschen ihrer Gruppe zu aktivieren. Ich habe das am Beispiel der Archetypen „Vater“, „Held“ und „Heilsbringer“ in meinen letzten Beiträgen demonstriert. Der zweite Teil der Frage muss jedoch lauten:

Wie wird dieses Wechselspiel von Herrschaft und Unterwerfung auf Dauer aufrecht erhalten und im Laufe der Zeit sogar vertieft?

 

Interaktion

Hier „rastet“ etwas in einen sich selbst bestätigenden Kreislauf ein. Wenn ich Sie auf der Straße im Vorbeigehen anlächle, lächeln Sie vielleicht zurück oder Sie schauen weg und denken sich „was will der denn von mir…“ Auf jeden Fall aber beeinflusst Sie mein Lächeln – und Ihr Verhalten hat wiederum Einfluss auf mich: Vielleicht spreche ich Sie an und wir landen beim Cappuccino, vielleicht schaue ich aber auch betreten auf den Boden und denke „wieder jemand, der mich nicht mag…“

Es fängt damit an, dass Menschen nicht ohne andere Menschen sein können. Wir sind so gemacht, dass wir unweigerlich miteinander in Kontakt treten. Ob wir es nun Familie, Sippe, Stamm, Volk oder eben Unternehmen nennen – wir gehen immer Beziehungen zu anderen Menschen ein. Wir treten in Interaktion, beeinflussen uns also gegenseitig in unserem Verhalten. Bei dem, was wir tagtäglich scheinbar frei und selbstverständlich entscheiden und tun, sind wir in Wirklichkeit eingebunden in ein Geflecht von empfundenen Einflüssen, die andere Menschen, unser soziales Umfeld, unsere Erziehung und die Kultur in der wir leben, auf uns ausüben. Und wir sind für andere Menschen wiederum Teil dieses Geflechts. Im Laufe der Zeit stellen wir uns aufeinander ein und lernen unsere Rolle im Skript unseres Lebens, die wir dann legitimieren, beibehalten und immer weiter ausbauen – wenn uns nicht Reflexion oder radikale Umbrüche auf neue Wege führen.

Misstrauischer EhemannTeufelskreise

Paul Watzlawick hat für dieses Verhalten den Begriff Teufelskreise eingeführt. Schulz von Thun beschreibt das, am Beispiel eines Ehepaars: Der Mann fühlt sich von seiner Frau ausgeschlossen. Er spioniert ihr hinterher. Sie zieht sich daraufhin zurück, ist einsilbig und hat Heimlichkeiten ihm gegenüber. Dies verunsichert ihn weiter und führt dazu, dass er verstärkt hinter ihr her spioniert. Watzlawick nennt das die Tücke der Interpunktion: „Weil er misstrauisch ist, ziehe ich mich zurück“ und „Weil sie sich zurückzieht, werde ich misstrauisch.“ Beide Seiten interpretieren die Ursache-Wirkungsbeziehung genau entgegengesetzt.

Clinch und Doppelbinder

Sie ahnen schon, dass man das auch wunderbar auf Führungsbeziehungen anwenden kann: „Weil er uns ständig kontrolliert, legen wir die Füße hoch, wenn er mal nicht da ist“ und „Weil meine Mitarbeiter ständig Pause machen, muss ich sie streng kontrollieren.“ Oder „Mein Chef traut mir gar nichts zu, ich fühle mich schon ganz unsicher“ und „Der muss man ja alles zweimal sagen.“ Oder „Mein Chef ist der Größte, der kann alles, der macht alles, das würde ich niemals können“ und „Alles muss ich allein machen.“ Auf diese Weise verfangen sich Interaktionspartner im Clinch und „passen“ dann irgendwann prima zueinander. Der Volksmund sagt: „Zu jedem Topf ein Deckel“.

Vom Soziologen Norbert Elias stammt der treffende Begriff „Doppelbinder“. Ich kenne Unternehmen, in denen Personalleitung und Betriebsrat, so im „Clinch“ verhaftet, viele Jahre gegeneinander gekämpft haben. Wenn einer der Clinch-Partner dann allerdings wegbricht, so geht der andere meist auch zu Boden, denn im Clinch braucht man sich und man stützt sich, um sich seine eigenen Vorstellungen von der Welt zu sichern.

Führen und Geführtwerden stehen in Wechselwirkung und bestärken sich gegenseitig

Führen und Geführtwerden bedingen sich, wie alle zwischenmenschlichen Beziehungen wechselseitig. Eigentlich muss das Jedem klar sein. Leider aber konzentriert sich ein Großteil der Führungsforscher darauf, Führung als objektive, messbare Größe zu behandeln, die ausschließlich von den Eigenschaften oder dem Verhalten der Führungskraft abhängt.

Schon hier können wir festhalten: Alle Führungstheorien, Managementmethoden und „Praxistools“, in deren Mittelpunkt allein die Führenden stehen, greifen zu kurz, denn sie berücksichtigen nicht die Einflüsse der Geführten und stellen so nur die eine Seite der Interaktion dar.

Wollen Sie wissen, wie das mit der Interaktion und dem Clinch im einzelnen funktioniert? Dann kommen Sie in meinen nächsten Beiträgen mit mir auf eine Reise, in der wir uns Menschliches Verhalten in sozialen Systemen etwas genauer anschauen.